Ein kleiner Dammschnitt mit nachhaltigen Auswirkungen

Veronika beginnt zu weinen, als sie mir von Ihrer ersten Geburt berichtet. Wohlgemeint an ihre erste Geburt. Der Moment, als der Chefarzt im Kreißsaal hin und her wanderte, während sie unter größten Anstrengungen und auch schweißgebadet ihr Kind zur Welt bringen will. Dann aber verliert er die Geduld und nach ein paar Minuten befindet er: «Sie machen nicht richtig mit, wir machen einen Dammschnitt. Meine Hebamme schaute fragend. Herztöne des Kindes normal, doch dann klapperte auch schon die Schere. »

An den Schnitt erinnert sich Veronika später nicht mehr wirklich. Aber an die Tortur in der Zeit danach sehr wohl. Normales Sitzen unmöglich, ohne dass der vernähte Damm zerreißend schmerzt. Die Wunde brennt bei jedem Toilettengang. Ihr Stuhlgang ist so schmerzhaft, dass sie ihn verwünscht. Erst nach zwei, drei Wochen wird es langsam besser. Das eigentliche Problem tritt dann aber erst nach Monaten auf. Veronika war immer eine sinnliche und leidenschaftliche Frau und dann der erste Sex nach ca. neun Wochen, ein Alptraum. Ihr Scheideneingang wie abgeschnürt, gefühlt so eng wie beim aller ersten Mal und noch dazu brennend wund. Ihr vergeht alle Lust. Es dauert weitere Monate bis von einer einigermaßen Normalität gesprochen werden kann.

Die Erfahrungen bei Ihrem zweiten Kind allerdings, ca. 1,5 Jahre danach ohne Dammschnitt entbunden, zeigen ihr, das es ganz anders sein kann. Danach ist Ihr Vaginaleingang gedehnt. Natürlich, 34 Zentimetern Kopfumfang ihres Kindes erfordern ihrem Gewebe alles ab, aber nichts tut dermassen weh. Ganz langsam, therapeutisch angeleitet, kräftigt sich Ihr Beckenboden und strafft sich das Gewebe wieder.

100 Jahre und kein bisschen Weise

Populär gemacht hat den Dammschnitt, in der Fachsprache Episiotomie genannt, in den 1920er Jahren Joseph DeLee. Wohl gemerkt 100 Jahren. Seine Idee: Mit dem Dammschnitt wollte er von natürlichen Verletzungen der Muskulatur im Beckenboden, kleine Risse die vorkommen können, abwenden. Das Kindchen sollte einfacher zur Welt kommen können. Auch sollten die Organe, die infolge des intensiven Pressens, nicht so leicht nach unten rutschen. So stellte sich der Mediziner das vor. Seither wird in vielen Ländern bei der Austreibung der schnelle Schnitt praktiziert.

Was genau ist ein Dammschnitt aber? Der Scheideneingang wird seitlich oder diagonal in Richtung des Anus aufgeschnitten, damit der durchschnittlich 35 Zentimeter umfassende Kopf des Kindes leichter und schneller hindurchtreten kann. Gerechtfertigt ist der Eingriff gemäß Leitlinien nur, wenn die Herztöne des Kindes abfallen, es also einen handfesten medizinischen Grund gibt, um das Kind rasch auf die Welt zu holen. Aber der Fall von Veronika lässt uns erahnen, dass die Indikation oft auf dünnen Grundlagen gestellt wird. Bei einer Befragung des deutschen Vereins Greenbirth gab mehr als die Hälfte von 21 Frauen an, dass ihnen die Gründe für den Dammschnitt nicht genannt und sie nicht einmal gefragt wurden.

Ein Eingriff mit fragwürdigem Nutzen

In der Schweiz liegt die Quote bei ca. 20%. In Deutschland hat man Sie bereits auf durchschnittlich zwölf Prozent gesenkt. Aber trotzdem gehört der Dammschnitt immernoch zu den fünfzig häufigsten Operationen, und es ist der häufigste Eingriff bei der natürlichen Geburt. Und das vor der erdrückenden Sinnlosigkeit, die uns Studien belegen. Schon vor Jahren hielt die Weltgesundheitsorganisation WHO fest, dass der Eingriff als Routine durchgeführt, keinen Nutzen habe. Der Beckenboden ist nicht unversehrter, die verbreiteten Probleme nach der Geburt nicht seltener. Auch das die Mütter Stuhl und Wasser nicht mehr so gut halten können, ist nicht häufiger in der Normalgeburt. Im Fachjournal JAMA stand es schon 2005 ganz prägnant: «Die Studien zeigen durchgängig keinen Nutzen des Dammschnittes zum Schutz vor Inkontinenz und für den Beckenboden.» Frapierend auch bewiesen ist, dass ein gerissener Damm oft besser und schneller heilt als ein geschnittener.

Die Naht ist das Problem

Fragt man nach dem Wohlbefinden der Frauen, dann ist er sogar eine richtig miese Angelegenheit. Immerhin zeigen 16% in einer Studie von 2016 von 648 Frauen mit Dammschnitt an, unter beachtlichen Schmerzen beim Geschlechtsverkehr nach der Geburt gelitten zu haben. Das Problem dabei ist nicht der Schnitt, sondern die Naht und die Narbe. «Wichtig ist, dass das Gewebe anatomisch sauber wieder genäht wird. Man kann schön nähen und weniger schön. Das macht den Unterschied.» so die Leiterin des Beckenbodenzentrums an der Universitätsfrauenklinik in Tübingen. Es kommt also sehr stark auf das Können und Wollen der oder des durchführenden Arztes an. Auch die Intimchirurgin Luise Berger aus München hat immer wieder Patientinnen, deren Dammschnitt so genäht wurde, dass an der Kante zum Damm nach hinten eine Narbe entstanden ist. «Dann haben die Frauen auf Monate, wenn nicht Jahre Schmerzen beim Geschlechtsverkehr», warnt sie.

Begleitung, Kommunikation und die richtige Haltung

Im Licht der Studien und Probleme muss man fragen: Wieso wird der Dammschnitt immer noch häufiger durchgeführt, als er eigentlich medizinisch nötig wäre? Denn Dammschnitte lassen sich häufig vermeiden, vor allem, indem die Gebärende richtig angeleitet wird, sodass sie Ihr Kind mit aller mentalen und körperlichen Kraft gebären kann. Wie bei der zweiten Geburt von Veronika Peters. Durch die genaue, durchgängige und fachlich präzise Anleitung der Hebamme klappte es dieses Mal ganz ohne Schnitt.

Zwei Metaanalysen von 2017 und 2016 von mehr als einem Dutzend Studien belegen den Zusammenhang. Die durchgängige Betreuung der Hebammen und ein richtiges Verständnis der jeweiligen Rollen sind die Grundlage für deutliche geringere Schnittinterventionen. Alltag in den Krankenhäusern ist aber eine dünne Personaldecke. Die mangelnde Zeit des Personals ist für eingeweihte der Branche der wichtigste Grund. Die Geburtshelferinnen wissen, wie sich ein Dammschnitt normalerweise vermeiden lässt. Dazu gehört das Erwärmen des Damms mit nassen warmen Tüchern. Eine uns bekannte Hebamme vergleicht es trefflich: «Ich vergleiche die Geburt gerne mit einer Bergwanderung, wir (Hebammen) sind dabei die Bergführer und der Arzt sollte die Bergwacht bleiben, nur intervenieren wenn wirklich Gefahr im Verzug ist.»

Ist ein Dammschnitt nun also ein Fluch für die Frauen? Fraglos verkürzt der Dammschnitt die Endphase der Geburt und kann so ein schwaches Kind, dessen Herztöne nachlassen, vor einer Schädigung bewahren. Dafür nimmt wohl jede Frau monatelange Schmerzen in Kauf. Aber bitte eben nur dann.

Wenn Sie am Ende, ob mit oder ohne Dammschnitt, Schwierigkeiten haben, dann sind auch wir gerne für Sie im Team da. Mit den richtigen Kenntnissen können wir Sie benfalls unterstützen wieder „auf den Damm“ zu kommen. (Foto by unsplash)

Ihre Michaela Hähnichen und Team
für DIE PHYSIOTHERAPIE in Bautzen